SPRECH-Nachrichten, 10. Sept. 2009

Leitartikel: „Der Ton macht die Musik!“

Die Menschen, die in meine Trainings kommen, möchten meist gut präsentieren oder Vorträge halten können. Es geht meinen KlientInnen aber immer auch darum, in Verhandlungen, Alltagsgesprächen oder privaten Interventionen Anklang zu finden und richtig verstanden zu werden. Oftmals haben wir gerade in kritischen Gesprächen das Gefühl, völlig ungerechtfertigte Reaktionen auszulösen. Aber sind diese tatsächlich so ungerechtfertigt?

Mir ist in den Sommerferien wieder Marshall B. Rosenbergs „Gewaltfreie Kommunikation“ (siehe unten: Buchtipp) in die Hände gefallen . Das hat mich angeregt, darüber nachzudenken, wie denn allein der Ton in der Sprechstimme für Gewalt, oder aber für friedliche, empathische Kommunikation steht.

Immer wieder habe ich mein privates Umfeld genervt, wenn ich darum gebeten habe, diesen oder jenen Satz doch bitte mit genau denselben Worten aber in einem anderen Ton zu wiederholen. Das Ergebnis war stets das gleiche – die Worte allein sagen selten das aus, was man genau meint. Erst die Betonung, der Stimmklang und der Rhythmus, also der Ausdruck, drücken aus, was gemeint war. Und da kommt viel durch, was wir gar nicht wollen, ja was uns vielleicht gar nicht bewusst war.

Einerseits kommt es darauf an, welches Wort wir durch Pausen oder gehobene Stimme betonen, andererseits aber einfach auch auf die Satzmelodie. Aussagen haben im Deutschen einen Tiefschluss, das heißt man senkt die Stimme am Ende des Satzes (Satzbogen). Nur bei Beistrich oder Fragezeichen hebt man die Stimme. Wenn ich die Enden hochziehe, werfe ich den Satz dem anderen hin (wie beim Angelleine auswerfen) und habe mich zu keiner für mich feststehenden Aussage durchgerungen. Das hat Aufforderungscharakter und hört sich sehr oft schlechthin wie ein Angriff an. Man hört am bloßen Stimmklang Wohlwollen, Gereiztheit, Arroganz, Unsicherheit, Ungeduld etc. – über die Stimme machen wir unsere Befindlichkeit und unsere Persönlichkeit hörbar.

„Eigentlich“, „denn da“ oder „natürlich“ gelten als Patentwörter für unterschwellige Angriffe und sind deshalb in einer auf Konsens orientierten Sprache zu vermeiden. „Eigentlich“, „denn da“ oder „natürlich“ lassen sich aber auch wunderbar zwischen den Worten intonieren… und da sind sie schon: die Zwischentöne.

Im theoretischen Trockentraining ist das alles ja kein Problem. Da wird uns gleich bewusst, dass ein knapp und mit Hochschluss artikulierter Satz angriffig wirkt und ein betonter, melodisch gesprochener Satz freundlicher wirkt (zum Ausprobieren siehe unten: Sprechtipp). Aber in belasteten Situationen? Denken Sie an problematische Sätze in der Vergangenheit, die Sie die Wände hochgehen ließen. Lassen Sie Ihren Gesprächspartner im Geiste genau den selben Satz in einer anderen Sprechmelodie sagen! Das Resultat ist immer frappant: Der Ton macht die Musik

Auf die Worte zu achten, ist essenziell für eine gedeihliche Kommunikation. Aber wer den richtigen Ton nicht findet, schießt vielleicht wohl überlegte Worte als emotionale Giftpfeile, Donnergrollen oder Kanonenkugeln auf sein Gegenüber.

Und dann sagt möglicherweise die Stimme der anderen: „Ich mag Dich nicht. Ich trau Dir nicht. Ich behaupte mich. Ich bin trotzig. Ich hab Angst. Ich bin verletzt.“; aber das darf uns dann nicht wundern.

Sprechtipp: die richtige Satzmelodie komponieren

Sie haben sich schon Gedanken über Konfliktlösung gemacht, vielleicht auch das eine oder andere Training zu diesem oder einem ähnlichen Thema besucht. Sie wissen also, wie man ein verbales Gewitter vermeiden kann. Das Libretto gibt es somit schon, Sie müssen nur mehr die Satzmelodie komponieren. Wohlan:

Beispiel: „Gib mir bitte die Butter rüber!“… klare Botschaft, oder?

  • Versuchen Sie einmal, ob Sie diese harmlose Aufforderung als Angriff intonieren können (wenn es Ihnen schwerfällt, fügen Sie gedanklich nach bitte das Wort wenigstens ein).
  • Und jetzt freundlich, zu jemandem dem auch Ihr Herz zugewandt ist. Vergleichen Sie nocheinmal diese zwei unterschiedlichen Rhythmen und Melodien.

Beispiel: „Morgen findet die Teambesprechung statt.“

  • … gemeint ist aber: „Und da werden die Karten neu gemischt.“
  • … oder vielleicht: „Wahrscheinlich hast Du den Termin vergessen.“
  • … und jetzt aufmunternd: „Und da werden wir eine Lösung finden.“
  • … und sachlich feststellend: „Um 10.00 im Sitzungssaal.“

Beispiel: „Ich dachte, Du arbeitest morgen.“

Diese Aussage ist eine wahre Spielwiese für Subtext:

  • … enttäuscht: „Jetzt bin ich nicht da, wenn Du frei hast.'
  • … knapp und patzig: „Wirst wieder auf der faulen Haut liegen?“
  • … und hier wieder die Herausforderung – möglichst dem Wortinhalt entsprechend – neutral: „Da hab ich offenbar etwas falsch verstanden.“

Die tägliche Übung

Lassen Sie am Abend einige Gesprächspassagen des vergangenen Tages über die interne akkustische Kontrollspur laufen - versuchen Sie die dahinterliegenden Botschaften zu verbalisieren! - Und wer weiß, vielleicht erfahren Sie Neues über sich selbst und über die Beziehungen in denen Sie sich befinden.

Buchtipp: „Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens.“ (Rosenberg, Marshall B.; Taschenbuch, Junfermann Verlag, Paderborn, 2007)

Kurzbeschreibung (Amazon)

„Wir betrachten unsere Art zu sprechen vielleicht nicht als ‚gewalttätig‘, dennoch führen unsere Worte oft zu Verletzung und Leid – bei uns selbst oder bei anderen. Die Gewaltfreie Kommunikation hilft uns bei der Umgestaltung unseres sprachlichen Ausdrucks und unserer Art zuzuhören. Aus gewohnheitsmäßigen, automatischen Reaktionen werden bewußte Antworten. Wir werden angeregt, uns ehrlich und klar auszudrücken und gleichzeitig anderen Menschen unsere respektvolle Aufmerksamkeit zu schenken.

Wenn wir die Gewaltfreie Kommunikation in unseren Interaktionen anwenden, ob mit uns selbst, mit einem anderen Menschen oder in einer Gruppe, kommen wir an eine Tür, die auf allen Ebenen der Kommunikation, in allen Altersklassen und in den unterschiedlichsten Situationen im Beruf, im Privatleben und auf dem politischen Parkett erfolgreich geöffnet werden kann.

Die Gewaltfreie Kommunikation ist die verlorene Sprache der Menschheit, die Sprache eines Volkes, das rücksichtsvoll miteinander umgeht und die Sehnsucht hat, in Balance mit sich selbst und anderen zu leben. Mit Geschichten, Erlebnissen und beispielhaften Gesprächen macht Marshall Rosenberg in seinem Buch alltägliche Lösungen für komplexe Kommunikationsprobleme anschaulich.“

„Gewaltfreie Kommunikation…“ von Marshall B. Rosenberg auf Amazon

Sprechtrainerin Petra Maria Berger: "Darüber freuen wir uns." (Foto: www.weinfranz.at)

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