SPRECH-Nachrichten, 24. Februar 2020

Leitartikel: „Mehr Eindruck durch mehr Ausdruck“

„Wenn Sie Ihren Worten keine Bedeutung beimessen, warum sollte irgendjemand anderes es tun?“ – vermutlich mein provokantester Satz in Seminaren und Einzelcoachings.

Aber er sagt alles aus, worum es im Sprechtraining eigentlich geht. Worte allein sind nur Vokabel. Wenn wir langweilig reden, wird der Inhalt langweilig ankommen. Wenn wir etwas schnoddrig und hastig sagen, wird die Wichtigkeit der Worte untergehen. Wenn wir die Bilder, die unsere Sätze erzeugen, dem Zufall und der Phantasie der Gesprächspartner überlassen, ist es schad‘ um die Liebesmüh‘.

Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Sprachwelt; alle unsere Begriffe sind völlig unterschiedlich besetzt. Wenn ich von einem Baum rede, habe ich ganz ein anderes Bild als Sie. Sprache ist die mangelhafte Übersetzung von Imaginärem. Wir brauchen den Subtext, das Gemeinte, die Bilder, damit wir einander gut verstehen können. Wenn nichts davon „mitgeliefert“ wird, machen sich die anderen ihren eigenen Reim auf das Gehörte. Und wenn das Nonverbale sagt: ich bin nervös; desinteressiert; gereizt; aalglatt; etc. kommt der Inhalt gleich noch einmal anders daher.

Ohne Bilder wird zu schnell und zu monoton gesprochen. Ohne Bilder brauche ich ahhs und ähhs, die die Pausen füllen. Ohne Bilder wird der Inhalt vom Eindruck meiner momentanen Verfassung geprägt: gelangweilt, gestresst, technokratisch, hyperaktiv oder unsicher …

Immer wieder scheuen sich Klientinnen und Klienten davor, expressiv zu sprechen. - Lieber weniger. - Lieber gar nichts ausdrücken. Sonst bin ich peinlich. Sonst bin ich am Ende theatralisch. Sonst mute ich den anderen zu viel von mir zu.
Das Resultat aus dieser falschen Zurückhaltung ist eine Sprache, die schlecht verständlich, fade, zu schnell oder in der Folge sogar unsympathisch wird – denn: wir mögen es, wenn’s „menschelt“. Wenn wir sehen und hören, wie es jemand mit der Sache … und mit uns meint.

Dass man hört, dass das Gesagte auch das Gemeinte ist, ist nicht nur für flammende Überzeugungsreden oder Verkaufsgespräche wichtig. Wann immer wir den Mund aufmachen, möchten wir doch, dass die anderen uns wirklich verstehen, uns glauben oder einfach nur: uns mögen.

Und es ist so einfach! Die Lösung heißt „echt sein“. - Bilder entstehen zu lassen, die Sie am inneren Auge vorbeiziehen lassen. – in Echtzeit! So synchronisieren Sie Ihre Bild- und Ihre Tonspur und Ihre Sprache wird glaubwürdig. Es wäre falsch, etwas zu „tun“, sich etwas Wesensfremdes anzueignen. Das wirkt immer aufgesetzt und künstlich. Geben Sie sich die Zeit, wirklich zu meinen, was Sie sagen. In Ihren Sprechpausen verstehen dann auch wir, wovon Sie reden.

„In Dir muss brennen, was Du in anderen entzünden willst!“ (Hl. Augustinus)

Sprech-Übung

Wollen Sie Bilder im Kopf erzeugen? Dann müssen Sie zuvor selber welche haben.

Sie sind Kamerafrau, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion! Drehen Sie einen Kurzfilm und schauen Sie Ihren Worten nach! Jeder Schwenk der Kameraeinstellung verlangt eine Pause. Jede Totale und jeder Fokus eine andere Intensität. Jede Wendung darf erst dann ausgesprochen werden, wenn Sie dazu ein Bild im Kopf haben. Vergessen Sie nicht: Worte sind keine leeren Hüllen! Sie sind farbig – und voller Inhalte!


Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?!
Wird's werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken.
Und nicht vergeht, wie die Flamm' im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.


Theodor Fontane
(1819-1898)

Wenn Sie glauben, das war jetzt bedachtsam, lesen Sie es noch einmal – doppelt so langsam! Aber bitte nicht den Worten nachsinnen! Erst das Bild, das präformuliert das Wort!

Merken Sie den Unterschied? Wie auf einmal all Ihre Worte einen Sinn bekommen?
– Dann gratuliere ich Ihnen herzlich: Sie haben soeben den ersten Schritt zu einer überzeugenden, authentischen Rede getan.

Sprechtrainerin Petra Maria Berger: "Darüber freuen wir uns." (Foto: www.weinfranz.at)

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