SPRECH-Nachrichten, 22. Nov. 2023

Leitartikel: „Reden können – ein Bildungsauftrag!“

Rhetorik, so höre ich gelegentlich, sei doch das Werkzeug von Politikern und Volksverführern. Manch einer „würde das ja schon ganz gerne können“, aber „meines ist das nicht“ und im Grunde sei die ganze Kunst ohnehin nicht erlernbar, weil in die Wiege gelegt. – Nichts davon ist richtig.

Es ist an der Zeit, eine Lanze für die „ars bene dicendi“ zu brechen, die „Kunst, gut zu sprechen“. Niemand wird mit dieser Fähigkeit geboren. Man lernt sie. Und sie ist für jeden erlernbar. In jedem Alter. Es ist ein Erlernen einer körperlich-geistigen Fertigkeit, angereichert mit intensiver, freudvoller Persönlichkeitsarbeit.

Gut zu sprechen heißt, mit den mir zur Verfügung stehenden verbalen und nonverbalen Mitteln meine Botschaften intentional und glaubwürdig auszudrücken. Und es heißt im Umkehrschluss auch, die Botschaften der anderen zu verstehen und in ihrer Grundaussage zu erkennen.

Das Vermögen, mich gut ausdrücken zu können, erhöht meine persönliche Freiheit:

  • Weil ich nicht durch sprachliche Unzulänglichkeiten eingeengt bin;
  • weil meine Stimme, meine Körpersprache und meine Sätze genau das aussagen, was ich meine,
  • weil ich zuhören und auf mein Gegenüber eingehen kann;
  • weil ich logisch und emotional denken und argumentieren kann;
  • weil ich gelernt habe, besonnen und wertschätzend mit mir, mit dem Inhalt und mit den
    Zuhörern/Gesprächspartnern umzugehen; und schließlich:
  • weil ich vermag, andere in ihren Überredungs- und Manipulationsversuchen aufzudecken

Dieser letzte Punkt liegt mir besonders am Herzen. Es hat einen Grund, warum in der Antike nur rhetorisch gebildete Menschen als frei galten. Neben der äußeren (politischen, persönlichen und gesellschaftlichen) Freiheit ist die Freiheit eines Menschen vor allem auch durch eine innere Wahlfreiheit gekennzeichnet. Die Freiheit zu wählen ist aber nur dann wirklich frei, wenn ich das Wählbare in seiner grundlegenden Aussage erkenne.

An der Salzburger Universität hat vor einigen Jahren Professor Kolmer seinen Studentinnen und Studenten den historischen Brief eines Bischofs an einen seiner Priester vorgelegt. Alle waren sich einig, dass er jenen darin in höchsten Tönen lobe. Nach eingehender Textanalyse kamen sie allerdings zu der erschütternden Erkenntnis, dass der geistliche Würdenträger seinen Untergebenen mit diesem Schreiben beruflich gründlich vernichtete. Es brauchte ein genaues Entwirren von Floskeln und Worthülsen, bis sie das Gemeinte in dem Gesagten erkannten, bis sie die eigentliche Botschaft hinter der vordergründigen Botschaft verstanden haben.

Rhetorik galt in der Antike als erste und wichtigste Disziplin. Jeder der sich für ein öffentliches Amt bewarb, jeder Gelehrte, jeder Beamte, jeder Lehrer konnte, ja musste sogar eine rhetorische Bildung vorweisen. Warum? Weil nur die Kunst der Rede es vermag, allen anderen Künsten Ohren und Herzen zu öffnen. Ziel der Rhetorik war und ist es somit, nicht zu manipulieren, sondern zu überzeugen.

Wenn eine Gesellschaft in die sprachliche Gewandtheit Ihrer Kinder und Jugendlichen investiert, sichert sie damit deren persönlichen und beruflichen Erfolg – und damit auch ihren eigenen. Es braucht im Lehrplan der Grundschulen und natürlich davor schon in der Lehrerausbildung ein Pflichtfach „Kommunikation und Rhetorik“, das sowohl theoretische Inhalte vermittelt, als auch eine Trainingsplattform zum Erlernen bietet. Denn reden lernt man nur durch reden. (Cicero)

Nur der ganze Menschen kann überzeugen. Ein Mensch, an dessen Sprechweise ich seinen Geist und sein Herz erkennen kann. Deshalb gilt Rhetorik als die Lehre der Glaubwürdigkeit. Wir brauchen sie heute mehr als je zuvor. Ich erachte es als Pflicht einer demokratischen Gesellschaft die sprachliche Gewandtheit und Ausdrucksstärke ihrer Bürgerinnen und Bürger so früh wie möglich zu fördern um deren Freiheit langfristig zu garantieren.

Sprech-Übung

Es gibt eine Vielzahl von effektiven Übungen. Fürs erste durchkämmen Sie Ihre Alltagssprache auf Floskeln und nichtssagendem Einheitsbrei! Etablieren Sie Ihre tägliche Morgenrede: 3 bis 4 Minuten freie Rede reichen fürs erste. Sprechen Sie laut und verwenden Sie exakt die Worte, die ganz genau das aussagen, was Sie meinen. Nehmen Sie sich zwischendurch ein paar Sekunden und suchen Sie schöne, passende Synonyme. Das Thema ist vorerst gar nicht wichtig. Sprechen Sie über das Wetter, das kommende Wochenendprogramm oder einen kürzlich gesehenen Film.

Sie werden sehen: es macht Freude! Und bald bereichern Sie auch Ihre Gespräche mit einer durchdachten Begrifflichkeit. … denn, wie gesagt: reden lernt man durch reden.

 

Sprechtrainerin Petra Maria Berger: "Darüber freuen wir uns." (Foto: www.weinfranz.at)

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